Im Januar vor 50 Jahren reisten die Digedags ins Erzgebirge. Das hätte der Comic-Serie beinahe ein vorzeitiges Ende bereitet.
VON THOMAS KRAMER ANNABERG-BUCHHOLZ –
Obwohl sie bereits 1976 in einer Fata Morgana verschwanden, genießen die Digedags bis heute Kultstatus - vor allem bei der Generation vierzig plus. Schließlich bescherten die ComicHelden aus den „Mosaik"-Heften den DDR-Bürgern seit 1955 allmonatlich einen Blick in ferne, exotische Abenteuerwelten. Doch ausgerechnet ein Ausflug ins Erzgebirge hätte der Reiselust der drei knollennasigen Herzbuben Dig, Dag und Digedag im Januar 1961 fast ein vorzeitiges Ende bereitet.
Nach turbulenten Abenteuern auf einer Südseeinsel und im Alten Rom wurden die Digedags 1958 auf Geheiß der Verlagsleitung auf den erdähnlichen Planeten Neos entführt. Dort hatten sie Werbung für Großprojekte des Sozialismus zu machen. Da es ihnen aber ansonsten selbst im Eisenhüttenkombinat Ost oder im Tagebau Böhlen-Espenheim laut zeitgenössischer Kader-Kritik an „Parteilichkeit für den Sozialismus" mangelte, schoss man sie im August 1960 erneut ins All.
In der Messe eines interplanetaren Superraumschiffes schildern die Digedags bis 1964 ihre Erlebnisse mit berühmten Erfindern von der Antike bis ins neunzehnte Jahrhundert. Die inhaltliche Klammer ihrer Erzählungen bildet die Geschichte der Dampfmaschine. Zunächst musste erläutert werden, aus welchem Grund man diese stählernen Ungetüme ab einem bestimmten Zeitpunkt so notwendig brauchte. Damit das nicht allzu steif daherkam, verpackte man nüchterne technik- und sozialgeschichtliche Fakten in eine „Mosaik"-typische humorvolle Handlung.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verbreitete sich die Nachricht von reichen Silberfunden im Erzgebirge, das „große Berggeschrey", blitzartig durch Europa. Die Hoffnung auf schnellen Reichtum lockte Scharen ehrlicher Bergleute, aber auch allerlei zwielichtiges Gesindel ins Mittelgebirge. So geraten auch Dig und Dag in den Heften 48 bis 51 in der Gegend um das heutige Annaberg-Buchholz zwischen abgemusterte Landsknechte, Falschspieler und Schmuggler.
Zum Ärger der Partei-Funktionäre stützten sich die Künstler bei der Fakte nvermittlung aber nicht auf die Werke populärer marxistischer Technikgeschichtsschreibung. Das „Mosaik"-Kollektiv um Johannes Eduard Hegenbarth, den legendären Hannes Hegen, bezog sich lieber auf bürgerliches Bildungsgut. Die Hauptquelle der erwähnten Erfinderserie war deshalb Walther Kiaulehns bereits 1935 erschienener po pulärwissenschaftlicher Bestseller „Die eisernen Engel".
Kiaulehn (1900-1968) schildert darin auch, wie das Bedürfnis nach immer
leistungsfähigeren Pumpwerken im Bergbau die Entwicklung der Dampfmaschine forcierte. Im 16. Jahrhundert nutzte man noch von Wasser- und Pferdekraft betriebene hölzerne Anlagen, um dem Grundwasser in den Schächten Herr zu werden. Der Renaissancegelehrte Georgius Agricola, Bürgermeister und Arzt in Chemnitz, hatte seinem Buch „De re metallica" (Über die Metalle) das Standardwerk zum mittelalterlichen Bergbau verfasst. Eine Auswahl der dafür von niederländischen Künstlern geschaffenen Holzschnitte illustriert auch „Die eisernen Engel". Begeistert griffen die Künstler in Hegens Atelier zu.
Auf prächtigen ganzseitigen Farbtafeln findet man so einige Holzschnitte aus Agricolas Werk von 1556 mit Akribie comictypisch interpretiert. Bei der Illustration der mittelalterlichen Lebensumwelt zitierte man Künstler der Epoche von Hans Hohlbein d.J. über Lucas Cranach bis lost Amman. Hier zahlte sich die klassische Ausbildung Hannes Hegens aus. Nach dem Krieg hatte der 1925 Geborene an der Seite von Künstlern wie Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig absolviert. Lothar Dräger wiederum, der 1927 geborene Texter des Comics, var seit früher Jugend ein begeisterer Karl-May-Leser.
So nutzte Dräger jede Gelegenheit, versteckte Anspielungen auf en bis in die frühen Achtziger in er DDR verpönten Fabulierer unterzubringen. Der Titel von Heft 48, Der Silberschatz in der Bärenhöh", verwies nicht zufällig auf zwei Bestseller des 1842 in Hohenstein geborenen Autors: „Der Schatz im Silbersee" und „Der Sohn des Bärenjägers". Tatsächlich ähnelten die Zustände im mittelalterlichen Erzgeirge ja dem Goldrausch in den USA. Mit dem Auftritt von Paschern an der böhmischen Grenze orientierte sich „Mosaik" auch am Roman „Das Buschgespenst", einer Bearbeitung an Mays Kolportagewerk „Der verlorene Sohn". Erst 1986 sollte das DDR-Fernsehen den Stoff mit Stars wie Rolf Ludwig und Ulrich Mühe werkgetreu an Originalschauplätzen interpretieren. Da hatten ihre Nachfolger, die Abrafaxe, die Digeags bereits abgelöst. Doch statt 1976 hätten die sich schon fast anerthalb Jahrzehnte früher mit Heft 50 unter dem bezeichnenden Titel „Das letzte Fest" verabschiedet.
Die Vorstellungen der Leitung des Verlags „Junge Welt" und der Künstler klafften anscheinend unüberbrückbar auseinander. Ein leitender SED-Funktionär konstatierte 1961 für die Erfinderhefte, dass sich „die Bilderzeitschrift mit der gegenwärtigen ideologisch-politischen Aussage im Widerspruch zu unseren Erziehungs- und Bildungszielen befindet." Doch noch einmal konnten die Wogen geglättet werden.
Ihre späteren Abenteuer als Knappen des Ritters Runkel von Rübenstein im späten 13. Jahrhundert sicherten den Digedags endgültig einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle der Comics. Die Hefte von damals sind zu begehrten und kostbaren Sammlerstücken geworden. Mit ihrer Mischung aus humanistischer Bildung und zündendem Witz lädt aber schon die in preiswerten Sammelbänden erhältliche Erfinderserie zu erneutem Lesegenuss ein.
DER AUTOR Thomas Kramer, 1959 in Zeitz geboren, ist Literaturwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, sein Spezialgebiet ist die Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Die Digedags-Hefte gibt es als Nachdrucke und in Sammelbänden, die im Verlag Junge Welt erscheinen. »
Bild oben: Das Original aus dem Jahr 1556: Ein Holzschnitt, der die Bergbau-Arbeit illustriert, aus dem Buch „De re metallica" von Georgius Agricola.
Bild unten: Die Comic-Version von 1961: Die Digedags erkunden die Welt des Mittelalters und bestaunen den Erfindergeist im Erzgebirge. FOTOS: ARCHIV THOMAS KRlMER
Freie Presse 27.01.2011